Interkulturelle Bildung

Prof. Dr. Rainer Leenen – Grundlagen und Grundfragen interkultureller Bildung

Was haben Sie behalten?

Übungsaufgabe

Frau Isabelle Schmitz ist Lehrerin an einer Sekundarschule in Nordrhein-Westfalen und die Klassenleitung der 6c. Nun steht die Klassenfahrt nach Cuxhaven an. Die Unterbringung ist wie immer in einer Jugendherberge geplant. Frau Schmitz hat allen Schülerinnen und Schülern den Informationsbogen, die Kontodaten und die Einverständniserklärungen ausgeteilt. Am Stichtag, zwei Wochen später, haben alle Schülerinnen und Schüler die Einverständniserklärung vollständig ausgefüllt abgegeben – es fehlt nur die von Dina Al-Abadi. Als Frau Schmitz diese darauf anspricht, beginnt das Mädchen zu weinen und sagt, dass sie gerne mitwolle, aber nicht mitdürfe und ihr Vater es nicht zulassen würde. Ohne weitere Erklärung verlässt sie den Raum.

Frau Schmitz ist verwundert. Sie hat Dina immer als sehr offen wahrgenommen. Zudem ist sie sehr neugierig, lebensfroh und lernt viel für die Schule. Und auch bei ihren beiden Brüdern, die ebenfalls die Schule in höheren Klassen besuchen, gab es nie große Probleme. Beide durften auch, ihres Wissens, bisher mit auf die Klassenfahrten. Aufgrund Dinas Worte und ihrer Verwunderung überlegt Frau Schmitz, Dinas Eltern zum Gespräch einzuladen und einen Termin zu vereinbaren.

Zum Termin erscheint dann nur Dinas Vater Omar Al-Abadi; seine Frau, die sonst immer alle schulischen Termine – bis auf in letzter Zeit – wahrnehme, lasse sich entschuldigen, da sie sich nicht wohl fühle. Frau Schmitz erklärt die Situation, dass die Einverständniserklärung für die Klassenfahrt noch fehle und Dina gesagt hätte, dass er es nicht erlauben würde, dass sie mitfahren dürfe. 

Herr Al-Abadi stockt zunächst und schaut betroffen. Nach einer kurzen Zeit des Überlegens sagt er dann vehement: „Ja, das stimmt, Dina darf nicht mit auf Klassenfahrt fahren. Ich erlaube es nicht!“

Wie würden Sie aus der Perspektive von Frau Schmitz die Reaktion des Vaters und dessen Hintergründe deuten? Lesen Sie sich die Deutungsoptionen auf der rechten Seite durch und reflektieren Sie diese: Trifft die Deutung (eher) zu oder (eher) nicht?

Dass Herr Al-Abadi so reagiert und sein Verbot betont, soll klar machen, dass er das Sagen in der Familie hat und auch die Meinung einer Lehrerin keine Auswirkung hat. Er will damit jede Diskussion unterbinden und macht seine Geschlechterrollen deutlich. Wahrscheinlich ist die Familie muslimisch geprägt und lebt, anders als bisher vielleicht sichtbar, sehr streng nach muslimischen Regeln.

Der Vater möchte nicht, dass Dina mit auf die Klassenfahrt fährt, weil er die Geschichten seiner Söhne über deren Klassenfahrt kennt. Said, sein ältester Sohn war neulich erst auf seiner Abschlussfahrt. Von Kollegen (anderen Lehrkräften an der Schule) hast du erfahren, dass die Schülerinnen und Schüler sich an keine Regeln gehalten hätten, viel Alkohol getrunken wurde und einige Jungen und Mädchen im Hostel die Nächte in den Zimmern des jeweils anderen verbracht hätten. Nun befürchtet Herr Al-Abadi, dass Ähnliches auf der Klassenfahrt der sechsten Klasse auch passieren könnte und möchte daher nicht, dass seine Tochter mitfährt.

Im Kollegium ist die Familie Al-Abadi als sehr leistungsstark und bildungsorientiert bekannt. Die Eltern fördern, obwohl sie selbst keine hohen Schulabschlüsse besitzen, ihre Kinder so gut sie können und investieren viel Geld und Zeit in die Bildung ihrer Kinder. Said, Dinas ältester Bruder, macht derzeit seinen Realschulabschluss mit Q-Vermerk und auch ihr Bruder Younes ist in der 8. Klasse der Klassenbeste. Von Dina bist du auch nur gute Noten gewohnt – mit Ausnahme der letzten Englischarbeit, in der sie nur eine 4 als Note hatte. Vielleicht bestraft ihr Vater sie nun dafür, indem sie nicht mit auf die Klassenfahrt darf.

Frau Schmitz ist in letzter Zeit öfters aufgefallen, dass Dina etwas abwesend und besorgt wirkt. Auch fehlte ihre Mutter bei den letzten schulischen Terminen, die sie sonst anstatt ihres Mannes wahrnahm. Frau Schmitz erinnert sich auch an die Entschuldigung von Herr Al-Abadi am Anfang des Gesprächs, dass es seiner Frau aktuell nicht sehr gut gehe und daher nicht den Termin wahrnehmen könne. Nun hat Frau Schmitz Sorge, dass Frau Al-Abadi vielleicht schlimmer erkrankt sein könnte und Dina daher nicht mitfahren könne oder wolle.

Aufgabe 2

Frau Schmitz ist in letzter Zeit öfters aufgefallen, dass Dina etwas abwesend und besorgt wirkt. Auch fehlte ihre Mutter bei den letzten schulischen Terminen, die sie sonst anstatt ihres Mannes wahrnahm. Frau Schmitz erinnert sich auch an die Entschuldigung von Herr Al-Abadi am Anfang des Gesprächs, dass es seiner Frau aktuell nicht sehr gut gehe und daher nicht den Termin wahrnehmen könne. Nun hat Frau Schmitz Sorge, dass Frau Al-Abadi vielleicht schlimmer erkrankt sein könnte und Dina daher nicht mitfahren könne oder wolle.



Frau Schmitz sollte im Gespräch deutlich machen, dass sie ein solch frauenfeindliches Verhalten nicht dulden kann und verlangen, dass Dina an der Klassenfahrt teilnimmt, damit diese besser integriert werde. Außerdem sollte sie Herr Al-Abadi darauf hinweisen, dass solche Geschlechterrollen nicht der Integration dienlich sind.
Frau Schmitz sollte ihre Verwunderung über das Verbot zum Ausdruck bringen und erklären, warum sie so empfindet. Außerdem sollte sie erklären, dass die Teilnahme an der Klassenfahrt gesetzlich verpflichtend ist und das Fehlen mit einer Geldstrafe geahndet wird. Sollte sich im Gespräch herausstellen, dass Dina aufgrund finanzieller Gründe nicht mitdarf, könnte Frau Schmitz Lösungen vorschlagen, eventuell gibt es die Möglichkeit einer schulischen Beihilfe in solchen Fällen. Sollten die Ereignisse der Klassenfahrt des Bruders doch der Grund sein, wäre es wichtig, hier transparent zu machen, welche Regeln vorgesehen sind und wie dafür gesorgt wird, dass diese eingehalten werden (getrennte Schlafflure, ggf. abgeschlossen, Nachtruhe/Ausgangssperre etc.).

Erläuterungen zu den Deutungsoptionen

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